18.02.2025

Hubert Wolf erzählt fesselnd von Archiv-Arbeit im Vatikan

Bittbriefe machen Schicksale bekannt / Friedenskirchen-Gemeinde hatte Kirchenhistoriker nach Angelmodde eingeladen

Münster-Angelmodde (agh). Viele Fragen an den Vatikan-Forscher Hubert Wolf hatten die Gäste im Saal der Friedenskirchen-Gemeinde nach seinem Vortrag über die Bittschreiben von während der NS-Zeit verfolgten Juden an den Vatikan.
Der Kirchenhistoriker Professor Dr. Dr. Hubert Wolf von der Universität Münster war mit seinem Team eher zufällig auf die Bittschreiben gestoßen, als sie die 2020 für die Forschung freigegebenen Bestände aus dem Pontifikat von Papst Pius XII. (1939-1958) untersuchten.
Die erste Überraschung kam nach den ersten Tagen der Sichtung, und sie führte zu einer Kehrtwende des Projekts. Statt um das Ziel einer Papst-Biografie drehte sich nun alles um die Menschen der Bittgesuche, deren Leben das NS-Regime samt der Erinnerung daran zu löschen versuchte.
Eindruck hinterließ bei den gut 30 Gästen auch der Einblick in die Arbeitsweise des wissenschaftlichen Projekts. Wolf unterstrich die Vielfalt an Fähigkeiten, die allein für die vielen Sprachen zusammenkommen muss. Aus allen Ecken Europas kamen Bittbriefe, da müssen „citizen scientists“ beitragen, die Ungarisch oder Serbokroatisch können, ob die Briefe in Maschinenschrift vorliegen oder handschriftlich. Nicht um ein Archiv handelt es sich, sondern um 120 Fundorte in sieben Archiven. Die Dokumente sind nicht systematisch und vollständig registriert und digital erfasst. Wozu sich noch etwas findet oder nicht, ist offen. Zentnerweise schafften die Mitarbeiter der vatikanischen Archive Material für die Wissenschaftler heran. Die Urteile der Historiker bleiben dennoch vorsichtig und vorläufig. Der Versuch, zu helfen, sei sehr häufig erkennbar, so der Eindruck von Wolfs Mitarbeiterin Dr. Barbara Schüler.
Wohltuend wirkte, so der Eindruck, für das Team der Wissenschaftler und die Archivare im Vatikan, wenn hinter den Dokumenten Gerettete sichtbar wurden. So kam 2023 Ilan Jacobi ins Archiv und konnte den Bittbrief seiner Mutter lesen, der ihm über die Intervention des Vatikans das Leben rettete. Etwa 10000 solcher Gesuche liegen vor, 900 hat das Team untersucht.
In die Öffentlichkeit wirken nicht nur Veröffentlichungen wie Wolfs Buch „Die geheimen Archive des Vatikan“ und Vorträge, sondern auch das aus den Forschungen entwickelte Unterrichtsmaterial für Schüler ab Jahrgangs-Stufe 9. Die jungen Menschen erreiche man damit gut, so Wolf, denn auch sie treibe die Frage um, wer sie seien und welchen Platz in der Gesellschaft sie hätten. Wolf machte das plausibel mit dem Schicksal des Martin Wachskerz, der 1942 nach einer Odyssee durch Europa als 21-Jähriger um Hilfe bat. In seinem Fall scheiterte der Hilfs-Versuch.
Zur Sprache kam bei der Frage des „Schweigepapstes“ Pius XII auch das Werk „Der Stellvertreter“ von Hochhuth. Das sei ein Theaterstück, ohne Quellenkenntnis geschrieben. Aber in der Meinungslandschaft komme man daran nicht vorbei, so Wolf, und das bestätigte sich bei der Fragerunde. Die drehte sich auch darum, wie sachlich angemessene Fragen aussehen. Sich auf eine einzelne Person zu beschränken, auch wenn sie ein Papst ist, geht an den Zusammenhängen in einem Staat vorbei. Manche historische Frage ist offen, wobei Wolf auf weitere Funde hofft. Es gelang ihm, in der Antwort auf Publikums-Fragen einige Schwierigkeiten für das Entscheiden im Vatikan greifbar zu machen. Jetzt verstehe er das Handeln des Papstes besser, sagt Pfarrer emeritus Ewald Spieker.
Ursula Schreiber dankte im Namen der Gemeinde Wolf und seiner Mitarbeiterin Dr. Barbara Schüler für ihren Vortrag.

„Ich stelle offene Fragen an die Quellen.“

(Hubert Wolf in Angelmodde,14.1.2025)

Bild: Machte in komplizierten Verhältnissen Lage und Leid von Menschen greifbar: Hubert Wolf in Angelmodde. Foto: agh.

Weitere Lektüre:

Norbert Ropers: Forscher der Uni im Archiv des Vatikan. Ein neues Stück Lebensgeschichte – nach 83 Jahren
https://www.wn.de/muenster/uni-forscher-ns-zeit-vatikan-juden-rom-2731931

Der Dom (2024): „Heiliger Vater, retten Sie uns. Der Kirchenhistoriker Prof. Dr. Dr. hc. Hubert Wolf und Dr. Barbara Schüler stellen beim Gründungsfest der Katholischen Akademie Schwerte ihre Forschungen in den Vatikan-Archiven vor. In: Der Dom 2025, 09.09.2024. Online verfügbar unter https://www.derdom.de/heiliger-vater-retten-sie-uns/, zuletzt geprüft am 13.01.2025.
Heise, Katrin (2025): Vatikanforscher: Den Katholizismus aus seinem Korsett befreien. Deutschlandfunkkultur.de. Online verfügbar unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/vatikanforscher-hubert-wolf-detektivarbeit-im-geheimarchiv-dlf-kultur-70edfe26-100.html, zuletzt aktualisiert am 13.01.2025, zuletzt geprüft am 13.01.2025.
Siefert, Almut (2025): Münsteraner Hubert Wolf entdeckt 10.000 jüdische Bittschreiben an den Papst. Online verfügbar unter https://www.kirche-und-leben.de/artikel/papst-vatikan-archiv-nationalsozialismus-juden-bittschreiben-kirchengeschichte-hubert-wolf-muenster, zuletzt aktualisiert am 13.01.2025, zuletzt geprüft am 13.01.2025.
Ungehört!? – „Asking the Pope for Help“ – Ev. Friedens-Kirchengemeinde Münster (2025). Online verfügbar unter https://www.friedenskirche-ms.de/beitraege/ungehoert-asking-the-pope-for-help, zuletzt aktualisiert am 13.01.2025, zuletzt geprüft am 13.01.2025.
Wolf, Hubert (2009): Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich. 2., durchges. Aufl. München: Beck.
Wolf, Hubert (2024): Die geheimen Archive des Vatikan. Und was sie über die Kirche verraten. 1. Aufl. München: Verlag C.H.BECK Literatur – Sachbuch – Wissenschaft.
Wolf, Hubert (2025): Kein deutsches Thema? Pius XII. und der Holocaust nach der Öffnung der vatikanischen Archive. In: Herder-Korrespondenz. Online verfügbar unter https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2025/1-2025/kein-deutsches-thema-pius-xii-und-der-holocaust-nach-der-oeffnung-der-vatikanischen-archive/.

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