25.04.2025

Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine

'Verhandeln statt Schießen" bei der DFG-VK

Zweierlei Veranstaltungen in Münster

Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine: Zweierlei Veranstaltungen in Münster
Was am 24.2.2023 Peace Now! und die „Menschenkette“ prägte, war die bescheidene Präsenz – und die Nicht-Existenz des Themas Überfalls auf die Ukraine durch Russland bei ihren bzw. der Ketten-Teilnehmer auf den Plakaten auf dem Prinzipalmarkt: Stattdessen u.a. Parolen gegen NATO und „Aufrüstung“. Es war der Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine. Man muss es dazuschreiben, zu erkennen war es nicht.
Die Schnittmenge zur Ukraine-Kundgebung war insofern gleich Null.

Münster. Auf dem Weg von der Salzstraße zur Kundgebung zu Ukraine und der Menschenkette der Friedensinitiative Münster hört man zuerst Stimmen vom Band, aus dem Lautsprecher – es geht um Gräuel des Krieges, wie die Oberen dem Volk auf dem Weg in den Krieg etwas vormachen. Etwas Bertolt Brecht, aus dem Exil, von 1939. Das kommt von einem Stand der „Deutschen Friedensgesellschaft“. „Peace now!“-Drucke und FCKAFD-Aufkleber hängen an den Lautsprechern, sie trotzen dem Regen. „Frieden schaffen ohne Waffen!“ steht auf einem Transparent am Stand, von der „Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen“. „Hiroshima und Nagasaki mahnen“.

Vor dem Rathaus spricht kurz vor vier Uhr Kajo Schukalla alle via Megaphon an: jetzt unterbreche man die Kundgebung, mache später weiter, es gebe noch ein Treffen mit Kaffee und Tee auf dem Domplatz. Da kommt Mark Dingerkus zu ihm, lädt die große ukrainische Gruppe ein, doch zu bleiben, sich einzureihen in die Menschenkette. Ein Teil von ihnen, Frauen, steht nah der anderen Straßenseite in einem großen Kreis, sie singen. Das wird noch einen Moment durch einen Lautsprecher auf der anderen Seite, unter dem Rathaus übertragen, während es bei Peace Now! losgeht, dann wird der Lautsprecher stumm. Leise klingt der Gesang weiter.

Die Resonanz aus der ukrainischen Community und ihrer Unterstützer ist minimal, als eine Sprecherin von Peace Now! sie zum Einreihen aufforderte – wie eine nette Einladung klang es nicht, eher wie eine verabredete Pflicht. Bestenfalls gab es keine Reaktion. Die Ukrainerinnen und ihre Unterstützer scheinen sich ein Bild gemacht zu haben von „Peace Now!“. Eine Frau, sie trägt ein Schild: “Frieden nicht ohne Freiheit“, ruft zu der Sprecherin etwas von „… dem Putin zum Fraß vorwerfen“, geht auch zu ihr und wiederholt es. Die Sprecherin ist irritiert, da kommt noch ein Mann dazu, ruft „Salon-Pazifisten“ ihr zu. Einige der Transparent-Halter von „Peace Now!“ sind empört. „Was soll das?“ – „Die tickt ja wohl nicht richtig!“

Die Sprecherin beginnt mit wenigen einleitenden Worten: „für den Frieden“ und „die Solidarität ausdrücken für Menschen in der Ukraine und allen Kriegsregionen dieser Welt“. Wie die Solidarität aussähe, sagt sie nicht. Zwischen den Säulen vor dem Rathaus halten Mitstreiter Banner in der Hand: „1648-2023 Der Westfälische Friede lehrt: Jetzt verhandeln!“ Je eines findet auf der rechten und der linken Seite Platz, dazwischen blieb ein Banner der Ukraine-Kundgebung hängen, zur „Solidarität mit der Ukraine“. Daneben steht ein Friedenslicht in einem ausgehöhlten Stück Holz.
Ein Zuwachs durch Teilnehmer der Kundgebung hätte der „Kette“ gutgetan, schon auf dem Prinzipalmarkt. In der Reihe halten einige Plakate zu Afghanistan: „#banTaliban“, #Stop Hazara Genocide“. Über viele Meter stehen Männer und Frauen aus dem Iran, einer macht Musik, sie halten Flaggen und lange Transparente in grün-weiß-rot, mit dem mit einem Schwert bewaffneten Löwen vor aufgehender Sonne darauf. Und Plakaten: „#Free Iran“, „Frau Leben Freiheit“. Bezüge zum Überfall auf die Ukraine sind nicht zu sehen. Ohne die Aktivisten zum Iran klaffte schon vor Stuhlmacher ein breites Loch. Für den nächsten Tag, den 25.2. ist eine „Solidaritätskundgebung mit der feministisch geführten Revolution im Iran“ angesetzt; sie sind trotzdem am Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine präsent. So reicht die „Kette“ bis zum Portal der Lamberti-Kirche. Eine eventuelle Fortsetzung der Kette ist von dort nicht zu sehen. Mit dem Rad fährt ein Foto-Journalist los, eine Fortsetzung der Kette zu suchen.
Richard Michael Halberstadt, CDU, für Peace Now! unterwegs, geht Richtung Rathaus, entlang der lückenhaften „Kette“, enttäuscht von der geringen Teilnahme, von der Abwesenheit vieler aus dem Rat – „wo sind die anderen“. Und er ist sauer auf Teilnehmer der Ukraine-Kundgebung: Sie hätten sich doch einreihen können. Sie hätten es nicht getan; er nimmt es übel.
Einer sagt etwas vom schlechten Wetter, es regnet immer wieder. Die Ukraine-Kundgebung läuft seit 11 Uhr, mit einer Mahnwache ging es los.
Zwischen den Veranstaltern, GfbV und Friedensinitiative Münster, gab es noch Zwist über den Ablauf. Die GfbV, soll es geheißen haben, habe sich nicht an die Absprache gehalten und den Platz vor dem Rathaus geräumt. Aber womöglich war Dingerkus‘ verbindende Einladung zum Bleiben nicht intern abgesprochen gewesen, im Kreis der Friedensinitiative.
Die Schweigeminute ist vorbei; vor dem Rathaus geht es bei der Ukraine-Kundgebung weiter mit Ansprachen, immer auf Deutsch und auf Ukrainisch. Winnie Nachtwei, Ex-MdB der Grünen, erinnert an deutsche Panzer aus Münster, die im Zweiten Weltkrieg auch die Ukraine verwüsteten, an die frühe Ermordung hunderter Juden und mehr. Man könne, so seine Schlussfolgerung, den Überfallenen nicht keine Hilfe leisten. Nachtwei würdigt den Widerstand von Armee und Bevölkerung: „Diese Widerstandskraft für die eigene Unabhängigkeit und Freiheit verdient allerhöchsten Respekt.“ Wieder wird applaudiert, es kommt ein „Dankeschön“ zurück mit osteuropäischem Einschlag. Nachtwei erinnert an ein böses Erwachen in Deutschland: „Jahrelang war Putin verharmlost worden und ist auch die Erfahrung der Osteuropäer, der Ukrainer, der Polen, der Balten nicht gehört worden.“ Nachtwei begrüßte die weitreichende Unterstützung für die Resolution der UN-Generalversammlung – „das ist die gute Nachricht dieses Tages“ – und schloss: „Solidarität mit der Ukraine, es lebe die Ukraine!“.
Auf den Stufen zum Friedenssaal liegt ein Meer von Blumen, Grablichter, Fotos und Namen. Von Orten wie Cernihiv und Kramatorsk, Mikolayiv und Izium. Ein Bild von Valeria Globan und ihrem drei Monate alten Baby, getötet in Odessa in ihrem Appartment von einer russischen Rakete, heißt es auf Englisch dazu. Fotos von Kindern und Männern.

Ein Sprecher des Vereins „Ukraine in Not“, Preisträger des goldenen Bürgerpreises Münster 2022, spricht. Er, so erläutert eine Moderatorin, spreche sonst Russisch, hier aber Ukrainisch – dafür gibt es Beifall von den Teilnehmerinnen. Hier geht es um praktische Hilfe, dazu müsse auch militärische Hilfe gehören.
Wie sieht die „Menschenkette“ aus, in die sich die Menschen aus der Ukraine hätten einreihen sollen, was transportieren die Menschen in ihr an Inhalten?

Bei der Menschenkette geht eine Aktive mit Megafon die Kette entlang, ruft zum Händereichen auf – das klappt auch gut, bis hinunter zur Lamberti-Kirche, einige Schals helfen. Die Iran-Transparente sind noch da, in Höhe des Lamberti-Brunnens hält ein Mann ein kleines Herz in Blau-Gelb in einer Hand. Ganz in der Nähe steht auf Plakaten: „Wieviel CO2 produziert Krieg?!“, daneben ist ein Kampfpanzer zu sehen, der wie ein us-amerikanischer aussieht. Ein Weiteres: „NATO bringt keinen Frieden“, hier zielt ein Sturmgewehr mit USA-Flagge auf die Weltkugel und die Friedenstaube. Auf seiner Schirmmütze ein Sticker in Herz-Form, links mit schwarz-rot-gold, rechts mit weiß-blau-rot, mittendrin eine Friedenstaube, weiter rechts eine Frau mit Plakat „Keine Aufrüstung“ auf der Brust, in der Hand, als Verbindung zur Nachbarin, eine Flagge mit Farben der Friedensbewegung.

Vom DFG stand schallt der Klassiker herüber: „Give peace a chance“ von John Lennon von 1969, bringt Rhythmus und in der nassen Kälte viele in der Kette in Bewegung, auf der Stelle.
Eine Gruppe von vier Frauen steht vor der Lamberti-Kirche, sie ist gerade das Ende der „Menschenkette“. Richtung Fischmarkt sei keine Kette, vorhin seien einige dort gewesen; sie hätten sich auf die für die Menschenkette abgesperrte Kreuzung gestellt – damit man überhaupt sehe, warum gesperrt sei.

Vor dem Rathaus einer mit handgefertigtem Transpartent: „Putin ist ein Terrorist!“ – „End Russian Imperialism“ – „Gegen Putin helfen nur Panzer!“ – „Mr. Putin, stopp killing the Ukrainian People!“ – „Occupation ≠ Peace“. Gegenüber hängt an einer Säule eine Sammlung von Fotos in Klarsichthüllen: Babys und Kinder darauf – „Russia lies! Russia tortures! Russia kills“. Eine lange Flagge in Blau-Gelb wird ausgebreitet, gehalten auf beiden Seiten von Jugendlichen, auf der Flagge Fotos, Sprüche, Gemaltes – es geht auch hier um getötete Kinder. Später stellen sich ein Mann und eine Frau mit Iran-Flagge zu der Ukraine-Kundgebung, die Iran-Flagge ausgebreitet.
Ein Brief von Svenja Schulze wird verlesen, der Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit. Es sei richtig, schon jetzt zu unterstützen, mit Strom-Generatoren und medizinischer Ausrüstung, auch, schon wiederaufzubauen. Da tue man in der Ukraine, und berücksichtige beim Wiederaufbau des Stromnetzes schon Standards der EU.

Vergleich von Ukraine-Kundgebung und „Menschenkette“

Bei der Ukraine-Kundgebung ist die Zahl höher als in der „Kette“, so der Eindruck. Inhaltlich besteht viel Einigkeit, Fragen sind konkreter beantwortet: Dass Okkupation, die sich mit z.B. einem Waffenstillstand verbindet, kein Frieden ist, Putin nach Den Haag gehört. Nichts davon in der Menschenkette. In der Kette kann jeder sein Thema einbringen, es muss nichts mit der Ukraine zu tun haben. Indirekt schon: Die Stellungnahme gegen NATO und USA, sie richtet sich gegen die größten Helfer des Mehrheitswillens in der Ukraine. Die Themen der Menschenkette sind am Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine disparat, vielthematisch, ohne direkte Aussagen zur Ukraine.
Wo jeder in der Kundgebung sehen kann, mit wem und für was er zusammensteht, wird in der Kette kaum jemand an der Lamberti-Kirche gesehen haben, was auf den disparaten Plakaten steht. Vielleicht die iranischen Flaggen. Viele werden nur wissen, was zu Peace Now! auf der Websites von Kirchengemeinden steht, etwa der Gemeinde Heilig Kreuz Osnabrück: „Am Jahrestag des Überfalls Russlands auf die Ukraine soll eine Friedenskette beide Städte verbinden – als gemeinsames Zeichen für den Frieden.“ Vor Ort sieht es deutlich anders aus.
Noch ein Aspekt: Wo die Menschen der Ukraine-Kundgebung konzentriert zusammenstehen, zieht die Menschenkette sich wie ein Strich mit Lücken den Prinzipalmarkt entlang.